Die
literarische Epoche des Frühmittelalters
(750 - 1170)
- Einführung und Werkauswahl
Während
der Regierungszeit Karls des Großen
(768-814) beeinflusste die Kirche im
starken Maße die germanische Kultur,
indem sie Dichtungsformen und -stoffe
bestimmte. Das ältere, germanische
Liedgut wurde nicht mehr gepflegt. Mit der
Einführung spätantiker, christlicher
Bildung und lateinischer Schrift sowie der
Zugehörigkeit zur römischen Kirche
entstanden neben literarischen auch
wissenschaftliche Arbeiten.
Karl
der Große bemühte sich die eroberten Völker
durch Bildung und Glauben zu vereinigen.
Er gründete eine Hof-Akademie, pflegte
die lateinische Hofpoesie, legte
Bibliotheken an und las die Schriften
antiker Dichter. Karl rief die Elite aller
germanischen Stämme zu sich an den Hof,
die dadurch aber ihrem Herkunftsland
verloren gingen. So bildete sich eine
Hofkultur aus, die durch verschiedenartige
regionale Einflüsse belebt wurde bis
diese schließlich zu einer Form
verschmolzen. Starke Impulse setzte
beispielsweise der Angelsachse Alkuin
(735-804), der als Klostervorsteher in
Tours die karolingische Wissenschaft
vorantrieb und mit seiner Liber de
catholica fide das erste dogmatische
System des Mittelalters schuf. Sein Schüler
Hrabanus
Maurus (um 784-856) war später
Leiter der Klosterschule in Fulda und ab
848 Erzbischof von Mainz.
Die
in diesen Jahren entstandene Literatur
verfolgte die Absicht, ihre Zuhörer- und
Leserschaft im christlichen Glauben zu
bestärken und Bildung zu vermitteln.
Durch den Tod des karolingischen Kaisers
wurden diese Bemühungen zunächst wieder
unterbrochen und erst von Otto I.
(936-973) und seinem Enkel Otto III.
(983-1002) wieder fortgesetzt. Allerdings
verhinderte die Entwicklung von Kirche und
Staat, dass wie bei Karl an den Höfen
wissenschaftliche Zentren entstanden.
Diese Aufgabe übernahmen nun überwiegend
die lothringischen Klöster und das
Kloster Fulda. Auch die Ottonenkaiser und
deren Familienangehörige befassten sich
mit Bildungspolitik und -förderung.
Latein galt als die Literatursprache, während
die deutschsprachige Epik und Lyrik nur mündlich
überliefert und nicht in diesem starken
Maße gepflegt wurde. So verwundert es
nicht, dass aus der ottonischen Epoche
kein deutsches Gedicht erhalten blieb.
Mit
Heinrich II. (1002-1024) verstärkten sich
die von der Kirche, hauptsächlich vom 910
gegründeten französischen Kloster Cluny
ausgehenden Bestrebungen, das reine,
asketische Klerikale über das profane,
niedere Weltliche in der Literatur zu
stellen. Die Lebensform der Geistlichen
und Mönche galt einzig als gottgefälliges
Dasein und wurde zum Maßstab des
Christenmenschen. Damit ging eine
Weltverneinung einher, die auch die Laien
mit einschloss und in den Kreuzzügen
ihren kriegerischen Ausdruck fanden.
Bediente sich einerseits die Kirche eines
weltlichen Königs, so diente diesem die
Unterwerfung seiner Vasallen unter dem
christlichen Gebot auch als Erhalt seiner
Machtposition gegenüber den immer stärker
werdenden Fürstenfamilien.
Durch
den Einfluss von Cluny wurden auch die
Lehren Abälards (1079-1142) und Bernhards
von Clairvaux (1091-1153) in
Deutschland bekannt. Französische
Gelehrte der Scholastik, die die
philosophischen Begriffe der Antike übernahmen,
um dadurch den Gottesbeweis
wissenschaftlich oder mystisch zu
untermauern und die Selbstaufgabe in Gott
priesen, galten als führende Persönlichkeiten
an den deutschen Hochschulen.
War
in der Karolingerzeit die Literatur noch
deutschsprachig und populär, wenn auch
ohne eine besondere Form/ Metrik, so wurde
sie im 8. und 9. Jh. durch grammatische
Werke bereichert. Später entwickelte sich
eine geistliche Gebrauchsliteratur mit
katechetischen Stücken und Gebeten,
Vagantenlieder (fahrende junge Geistliche
unterschiedlicher Nationalitäten, die
ihre Lieder von Universität zu Universität
vortrugen) sowie eine deutsche
Prosa. Schließlich überwogen in der
Dichtung biblische Themen und
Heiligenlegenden. Durch die lateinische
Sprache wurde der Endreim auch in die
deutsche Literatur übertragen. Die spätere
Ausschließlichkeit des Latein in der
Literatur führte zu einer Vergeistlichung
des Sprachschatzes.
Die
Hauptgattungen der deutschen Poesie ab der
Hälfte des 11. Jhs. sind: Lehrgedicht,
Predigt, Satire, Nacherzählungen
biblischer und legendärer Stoffe und die
Mariendichtung, das Oster- und
Weihnachtsspiel. Zum Ende der Epoche
bildeten die Stoffe auch wieder die
Grundlage für spannende, weltliche
Themen, die dann allerdings zumeist in
wilder Form, ohne metrisches Maß
vorgetragen wurden. Erst als der
geistliche Einfluss schwand, besserte sich
auch die Qualität der weltlichen
Dichtung. An den Höfen entstanden
Wettbewerbe zwischen Geistlichen und
weltlichen Spielleuten. Aus dieser
Konkurrenz heraus entstand das Epos. Der
Begriff Spielmannsdichtung ist jedoch ein
Sammelbegriff für nichtgeistliche, nichthöfische
und nicht schriftlich fixierte Literatur.
Die Spielmannsepik stellt von der
Heldenepik eine Zwischenstufe zur höfischen
Epik dar, da ihre Protagonisten lediglich
ältere volkstümliche Stoffe, Balladen
und Heldenlieder benutzten, um sie zeitgemäß
umzudichten und neu vorzutragen. Die
Verfasser waren meistens Geistliche, die
dem alten Erzählgut durch Einbeziehung
von Legenden und Mythen eine neue
Bedeutung gaben. Sie wahrten die Form, in
dem sie den paarig reimenden Kurzvers
verwandten.
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Wichtigste
Literaturbeispiele in der Zeit des frühen
Mittelalters sind: Wessobrunner Gebet
(770/90), Heliand (um 830), Altsächische
Genesis (um 830), Ludwigslied (881), Waltharius
(Ende des 9. Jhs.), Ruodlieb (Mitte des11.
Jhs.), Ezzos Lied (1063), Noker, Memento
mori (um 1070), Annolied
(1077/1105), Kaiserchronik (1135/55),
Pfaffe Lamprecht, Alexanderlied (1140/50),
Hildegard von Bingen (1098-1179), Liber Scivias
- Wisse die Wege (1141/47), König Rother
(um 1150), Pfaffe Konrad, Rolandslied, (um
1170), Herzog Ernst (um 1180), Heinrich der
Glîchesaere, Reinhart Fuchs (um 1180).
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