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Kulturorte in Berlin


 

Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, Bodestr. 1-3, 10178 Berlin 
Wiedereröffnung am 1.12.01
   
Johann Heinrich Strack erbaute nach den Entwürfen von Friedrich August Stüler in den Jahren 1866 bis 1876 die Alte Nationalgalerie, die ursprünglich als Festhalle mit einer hohen Vortreppe konzipiert war. Bereits 1861 änderte sich die Planung von der Festhalle zum Museumsbau als "Denkmal nationaler Kunst". Kaiser Wilhelm I. erhielt vom Kunstliebhaber Johann Heinrich Wilhelm Wagener testamentarisch eine Stiftung von 262, damals zeitgenössischen,  Gemälden mit der Auflage, diese Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Jahre der Baufertigstellung waren die Bestände bereits um weitere Stiftungen und eine Skulpturensammlung erweitert. Die ältesten Exponate gehen zurück in das 18. Jahrhundert,  wie z.B. die Marmorskulptur von Johann Gottfried von Schadow, die die Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen darstellt (1796/97). 

Für den Ankauf weiterer Exponate schlug eine Kommission für Landeskunst dem Kulturminister vielversprechende Werke vor. Diese legte die Empfehlungen dem Kaiser vor, der sie schließlich genehmigen musste. Die Nationalgalerie vergab aber auch Aufträge an bedeutende Künstler der Zeit. Vor allem Portraits und historische Sujets waren beliebt wie beispielsweise Adolf Menzels "Flötenkonzert". Sein Gemälde Das Eisenwalzwerk - ein Industriebild - hingegen löste bereits bei der Eröffnung der Nationalgalerie kontroverse Debatten von Begeisterung bis Empörung aus. 

Die Direktoren Max Jordan, Hugo von Tschudi und Ludwig Justi mussten sich bei der Wahl der Gemälde immer wieder mit dem äußerst konservativen und staatlich-monarchischem Geschmack des Kaisers auseinandersetzen, was viel Diplomatie verlangte. Aber Hugo von Tschudi wurde 1908 vom Kaiser entlassen, weil seine Ankäufe impressionistischer Meister aus Mäzengeldern zu unüberbrückbaren Differenzen mit Wilhelm II. führten. Tschudi wechselte zur Münchener Pinakothek und mit ihm viele zum Ankauf bereits vorverhandelte Gemälde von van Gogh, Gauguin und Cézanne, die die Mäzen eigentlich für Berlin erwerben wollten. 

Mit dem Nationalsozialismus fand das künstlerische Engagement ein jähes Ende. Nach dem Krieg wurde die Nationalgalerie wieder aufgebaut und eröffnete 1949  als erstes der Gebäude auf der Museumsinsel seine Pforten für die Besucher. Zu DDR-Zeiten gab es viele Sonderausstellungen, aber der Etat für Ankäufe war äußerst gering. Doch erwarb die DDR das Gemälde "Der geblendete Samson" von Lovis Corinth.

Exponate und Ausstellungen
Zu den wichtigsten Exponaten aus dem 19. Jahrhundert gehören die Gemälde von  Karl Blechen (Im Park der Villa d'Este), Arnold  Böcklin (Die Toteninsel/ Hochzeitsreise), Paul Cézanne (Mühle an der Couleuvre bei Pontoise), Lovis Corinth, Edgar Degas (Unterhaltung), Anselm Feuerbach (Das Gastmahl), Caspar David Friedrich (Mondaufgang am MeerDer einsame Baum), Francisco de Goya, Max Liebermann (Flachsscheuer in Laaren), Eduard Manet, Adolf Menzel (Das Eisenwalzwerk), Auguste Renoir, Friedrich Schinkel, Max Slevogt (Der Sänger Francisco d'Andrade als Don Giovanni) sowie die theatralischen Skulpturen des 19. Jahrhunderts u.a. von Reinhold Begas (Amor und Psyche).

Die berühmten Fresken der Lukasbrüder (auch unter dem Namen:  Die Nazarener bekannt) aus der Casa Bartholdy bei Rom wurden vor dem Abriss der Villa ausgebaut und 1816/17 den Kunstschätzen der Nationalgalerie hinzugefügt. Während der Restaurierung des Gebäudes waren diese fragilen Wandgemälde eingelagert und werden jetzt wieder in einem angemessenen Rahmen präsentiert. Ebenso wie die von den Künstlern Friedrich Overbeck, Wilhelm Schadow, Philipp Veit und Peter Cornelius geschaffenen Fresken zur Josephsgeschichte aus dem Alten Testament, die 1888 in die Nationalgalerie gelangten. Erstaunlich für die damalige Zeit waren die Farbkomposition und die starke Kontrastierung, die den  Bildern eine ungewöhnliche Spannung verleihen. Raphael und Dürer waren die Vorbilder dieser Künstler.

Zu den bedeutenden Werken zählen ohne Zweifel auch die Gemälde von Max Liebermann. Er war von Hause aus genug vermögend, so dass er die Sujets malen konnte, die ihn beschäftigten. Seine Vorbilder waren die holländischen Künstler. Er malte vorwiegend in Brauntönen. Liebermanns erstes Bild, dass in der Nationalgalerie und überhaupt in einem öffentlichen Museum ausgestellt wurde, war "Die Flachsscheuer" . Das Thema brüskierte damals die feine Gesellschaft. Max Liebermann verkaufte es weit unter Wert. Doch der damalige Generaldirektor der Nationalgalerie Wilhelm von Bode förderte Liebermann und setzte den Ankauf den Gemäldes gegen konservative Stimmen durch. 

Mit Hugo von Tschudi als Direktor und einem Freundeskreis von reichen Mäzen wurde der Schritt in die Moderne vollzogen. Das Museum erwarb mit den Geldspenden der Mäzen Gemälde der Impressionisten, darunter "Der Wintergarten" von Manet und "Die Mühle an der Couleuvre bei Pontoise" von Cézanne, ebenso wie Bilder von Renoir und Skulpturen von Rodin

Ludwig Justi hingegen versuchte eine vorsichtigere Vorgehensweise. Zunächst wurden die Bestände thematisch gesichtet und sortiert. Dabei schlug er dem Kaiser vor die nationalen- und kriegshistorischen Gemälde dem Kriegsmuseum zu überstellen. Er konnte zudem den Kaiser von der Notwendigkeit eines Um - bzw. Erweiterungsbaus überzeugen. Diese Maßnahmen verschafften ihm Platz für den Erwerb der ersten expressionistischen Gemälde, darunter "Turn der blauen Pferde" von Franz Marc (heute verschollen) und Werken von Künstlern wie Max Pechstein, Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Oskar Kokoschka.

Anliegen der Nationalgalerie war es stets, auch ausländische Künstler in ihren ständigen Ausstellungen zu präsentieren, z.B. Skulpturen von Rodin (Der Mensch und sein Gedanke). Aus dem reichhaltigen Sammelbestand okkupierten die Nationalsozialisten ca. 300 Bilder, die sie als "entartete Kunst" bezeichneten und ins Ausland verkauften. Ca. 900 Gemälde zerstörte der Zweite Weltkrieg. 1949 wurde die Nationalgalerie wieder eröffnet, in ihrem Stammhaus zeigte die DDR hauptsächlich deutsche Kunst der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, Expressionismus, Bauhauskunst, Verismus und Neue Sachlichkeit. Aus Anlass der großen Retrospektive über Carl Blechen "Zwischen Romantik und Realismus" 1990 schlossen sich die ehemalige Nationalgalerie Ost und die Neue Nationalgalerie im Westteil der Stadt zu einer Institution zusammen. Beide Museen verwalteten zahlreiche Werke dieses Künstlers. Die gemeinsame Ausstellung wurde in der Neuen Nationalgalerie gezeigt. In der Ostberliner Nationalgalerie hingegen galt die erste Retrospektive dem Westberliner Maler Rainer Fetting.

Die Restaurierung
Der Architekt H.G. Merz hat die Alte Nationalgalerie von Grund auf saniert. Das Gebäude war im Zweiten Weltkrieg durch eine Bombe, die alle Decken zum Einsturz brachte, schwer beschädigt und nach 1945  wieder aufgebaut worden. Die heutige Restaurierung lehnt sich an ursprüngliche innenarchitektonische Details an. So wurde mit einer Farbscala, der im Hause zu finden Farbspuren gearbeitet und danach die Decken- und Wandfarben ausgewählt. Es sollte möglichst der ursprüngliche Charakter des Gebäudes gewahrt bleiben, ohne aber auf eine moderne Klimatechnik, Sicherheitsstandards oder den gewohnten Komfort verzichten zu müssen. Ebenso hielt man sich an die vorgegebenen Qualitätsmaßstäbe und verwandte hochwertige Materialien wie Terrazzo und Tafelparkett aus Räuchereiche. Ganz neu ist ein Saal in der obersten Etage, der ursprünglich eine Raumhöhe von zwei Etagen einnahm. Zu DDR-Zeiten zog man im unteren Geschoss eine Zwischendecke aus Glas ein; der Raum darüber blieb ungenutzt. 


Die aufwendigste Restaurierung erfuhr der Kuppelraum in der Hauptetage, der wieder nach Schinkels Bühnenbild für die Zauberflöte ausgestaltet wurde. Durch weiße Farbe und Gips war dieser nach dem Krieg vollends entstellt worden. 

Ein Fünftel der Fläche nimmt das Treppenhaus ein,  welches auch Ausstellungsraum ist. Wände und Balustraden wurden mit Stuckmarmor (Marmorstruktur aus Gips) hergestellt. Dabei mischt der Stuckateur Farbpartikel in die Gipsmasse, so dass feine Strukturen entstehen, die später wie Marmor aussehen. Dickere Adern werden direkt an der Wand farblich  aufgetragen. Die Verarbeitung muss bei großer Feuchtigkeit erfolgen. Auch die Säulen wurden aus Gipsmarmor hergestellt; die Treppen sind aus echtem Marmor. 

Bereits unter der Direktion von Ludwig Justi, der eine Neuordnung der Bestände der Nationalgalerie vornahm, wurde die dunkle und übergroße Skulpturenhalle baulich verändert. Ohne die ursprüngliche architektonische Planung zu berücksichtigen, ließ er die Halle in kleine Kabinette aufteilen, wodurch 12o Meter Ausstellungsfläche hinzugewonnen wurden. Auch nach der Sanierung sind die kleinen, sogenannten Justi-Kabinette erhalten geblieben. In diesen kleinen Räumen rücken die ausgestellten Exponate in ein besseres Licht  und sie sind bei den Besuchern sehr beliebt. 

In den Jahren 1999 bis 2001 wurde die Alte Nationalgalerie von Innen und Außen restauriert. Wer heute die Alte Nationalgalerie in Berlin besucht, kann neben der sorgfältigen Sanierung, der bemerkenswerten Sammlung großer Gemälde und Skulpturen auch ein Teil Museums- und Kunstgeschichte miterleben.

Beim ersten Blick auf das Gebäude fällt auf dem oberen Absatz der Freitreppe vor dem Museum das bronzene Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV. von 1886 auf - eine Arbeit von Alexander Calandrelli.  Der  Rundgang durch die Epochen der Kunst beginnt  im oberen Stockwerk.  

 

 

 

Mia Becker/ Turandot-Verlag, 02.12.2001

© fotos: das-turandot-fotoarchiv     © TURANDOT/ FOU

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