Sammlung
rhetorischer Tropen und Figuren von
René H.R. Bongartz
Die
Rhetorik ist die mehr als 2.500 Jahre alte
Wissenschaft von der Kunst, durch Sprache zu
überzeugen. Auch wenn sich die durch die
Rhetorik vermittelten Fertigkeiten zunächst
ausschließlich auf das gesprochene Wort
bezogen, so ist dies lediglich den
zeitlichen Umständen geschuldet - in der
Antike existierte im Alltag keine
Schriftlichkeit.
Die
wissenschaftliche Rhetorik vermittelt Wissen
in den übergeordneten Bereichen:
Verständlichkeit von Sprache,
Attraktivität von Sprache, Gestaltung von
Text und Textpräsentation.
Schwesterdisziplinen sind die Grammatik und
die Dialektik.
Bis
ins 18. Jahrhundert war die Rhetorik fester
Unterrichtsbestandteil an Schulen und
Universitäten. Als Instrument zur
Artikulation des eigenen Willens barg die
Rhetorik die Gefahr des Aufstandes gegen
Fürst oder Kirche. Zu einer Zeit, da
Bildung größeren Bevölkerungskreisen
zugänglich wurde, hatte sie schlechte
Chancen, in einen Fächerkanon aufgenommen
zu werden, der lediglich die Reproduktion
und nicht die Produktion von Wissen vorsah.
Die gegenläufige Denkrichtig, die
Aufklärung, konnte zugleich deshalb keinen
Gefallen an der Rhetorik finden, weil die
Theorie der Wissenschaft Rhetorik nicht auf
mathematisch-logischen Modellen beruht,
sondern ihren Wissensfundus direkt aus der
Sprachpraxis des Alltags gewinnt. So blieb
der Frühaufklärer Johann Christoph
Gottsched der letzte bekannte, öffentliche
Fürsprecher für rund 250 Jahre.
Nicht,
daß Text und Sprache im 19ten und 20sten
Jahrhundert weniger rhetorisch gewesen
wären, das Wissen um die Technik war jedoch
in öffentlich-offizielle Vergessenheit
geraten. Dafür, daß Menschen nach wie vor
der absichtlichen Manipulation durch Sprache
ausgesetzt wurden, sprechen nicht zuletzt
der Aufschwung sozialistischer Bewegungen im
19ten Jahrhundert und die sprachliche
Knechtschaft einer ganzen Staatsbevölkerung
zur Zeit der Nationalsozialisten. Die beiden
Beispiele stehen als Beleg einer
ununterbrochenen Existenz der Rhetorik, sie
stehen ebenso für das zentrale
Wesensmerkmal dieser Technik: Sie ist in
jedem Fall unabhängig von ihrem Anwender.
Egal, ob sich "der Gute" oder
"der Böse" seines rhetorischen
Wissens bedient, das Publikum ist in jedem
Fall "der Dumme", wenn es außer
Stande ist, mit gleichen Mitteln zu
reagieren.
Wer
mit der vorliegenden "Sammlung
rhetorischer Tropen und Figuren"
arbeitet, muß sich einer Sache stets
bewußt sein: Sie stellt nur einen winzig
kleinen Ausschnitt der rhetorischen
Techniken dar - nicht einmal das! Sie ist
notwendigerweise unvollständig, sie ist
irreführend und sie verleitet zu dem
Eindruck, daß man nach der Lektüre etwas
weiß! Die Rhetorik kennt rund 600 Tropen
und Figuren nebst einer unzählbaren Zahl
von Varianten und Unterarten. 112 Tropen und
Figuren sind hier zusammengetragen, die
Auswahl geschah durch eine einzige Person,
die sich zudem des rein subjektiven Gefühls
bediente, daß es sich bei den gezeigten
Tropen und Figuren um diejenigen handelt,
die einfach zu verstehen und für den Alltag
relevant sind. Das umfangreichste Werk zum
Thema stellt das "Handbuch der
literarischen Rhetorik" von Heinrich
Lausberg dar - der Lausberg ist allerdings
schwer verständlich, da es hauptsächlich
Beispiele in alt-giechischer, lateinischer,
italienischer, französischer oder
spanischer Sprache gibt. Irreführend ist
die Sammlung, weil sie den Eindruck
vermitteln könnte, man hielte mit ihr einen
wichtigen Bestandteil rhetorischen Wissens
in Händen - ganz im Gegenteil! Die
Figurenlehre gehört in die 'Abteilung'
Sprachschmuck (ornatus) - und die wiederum
ist sicher nicht der zentrale Bestandteil
der Wissenschaft. Letztlich ist das Wissen
um die Figurenlehre kaum ein Wissen im
Vergleich zur Rhetorik insgesamt: Schon die
alt-griechischen Rhetoriklehrer, die
Sophisten, sahen für ihre Schüler eine
Lernzeit von drei Jahren vor, bevor die
Nachwuchsrhetoriker die Rhetorik so weit
verstanden haben sollten, daß sie danach
die Anwendung angehen konnten.
Nichtsdestotrotz
ist die "Sammlung rhetorischer Tropen
und Figuren" natürlich ein nützliches
Instrument. Sie gewährt einen kleinen
Einblick in ein vernachlässigtes Wissen und
kann so den Anreiz dazu bieten, mehr wissen
zu wollen. Als Anhang findet sich zu diesem
Zweck ein kleines, kommentiertes
Literaturverzeichnis.
Ich
wünsche viel Spaß und Erfolg, jede Menge
Neugierde und Entdeckergeist!
René
H.R. Bongartz
Magister Artium der Rhetorik, Psychologie
und Politikwissenschaft
Die
"Sammlung rhetorischer Tropen und
Figuren" darf für den Privat- und
Schulgebrauch frei kopiert und weitergegeben
werden. Ausdrücklich von dieser Regelung
ausgenommen ist jeder gewerbliche Gebrauch.
In Zweifelsfällen oder bei Fragen zum
Inhalt steht der Autor
gerne unter der Email Bongartz@KomCept.de
zur Verfügung.
Bearbeitung
12/00
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